Textantrieb

Manuskript

Wissenschaft

Der wissenschaftliche Weg

Ich plädiere für den Aufbau eines formalen, allumfassenden wissenschaftlichen Korpus, und zwar aus ganz unspektakulären Gründen. Es ist nur selbstverständlich, dass die Wissenschaft ihre Ergebnisse veröffentlichen soll, und dass die Aussagen so formal wie nur möglich sein sollen. Denn der Wissenschaft geht es um gesichertes Wissen, und sichern lässt sich allein ein Wissen, das in ausformulierter Gestalt vorliegt.

Diese Aussage kann unauffällig anmuten, so lange man nicht realisiert, wie weit sie vom aktuellen wissenschaftlichen Betrieb fällt. Denn dieser besteht allein im Vorschlag und Diskussion von Erkenntnissen und Theorien, ignoriert aber vollkommen zwei grundlegend wichtige Tätigkeiten: Integration und Sanktion.

Integration der Erkenntnisse gibt es nur innerhalb bestimmter Fachgebiete, allen voran die Physik, für die es umfassende Handbücher gibt. Doch solche Handbücher werden durch Verlage als kommerzielle Produkte hergestellt und entstehen als Einzelprojekt und nicht durch stete wissenschaftliche Zusammenarbeit und Kritik. Für viele anderen Fachgebiete — typischerweise in den Geisteswissenschaften — gibt es keine Handbücher, sondern maximal gelegentliche Berichte, die gegensätzliche Ansätze aneinanderreihen. Das angestrebte wissenschaftliche Korpus wird alle Fachgebiete einschließen, alle Erkenntnisse aufzählen, alle Theorien samt ihrer Begründung beschreiben, und alle Zusammenhänge zwischen Erkenntnissen und Theorien explizit erfassen. Dabei werden nicht abertausende von separaten Handbüchern entstehen, sondern ein einziges Textkorpus, das alles im Zusammenhang enthält.

Doch auch die Sanktion der Erkenntnisse kommt heute viel zu kurz. Es wird nirgendwo wissenschaftlich sanktioniert, welche Theorien nun gültig sind, was als unbekannt, als hypothetisch oder als gesichert gelten soll. Diese Einstufungen werden wenn überhaupt nur informell durch einzelne vorgenommen, meistens aber unbewusst angenommen. Im wissenschaftlichen Korpus müssen die Erkenntnisse und Theorien nicht nur beschrieben, sondern auch sanktioniert werden. Es muss zum wissenschaflichen Betrieb gehören, diese einzustufen, zu bewerten, und offiziel unter epistemologischen Kategorien zu subsumieren.

Man kann sich fragen, warum der Mensch überhaupt Wissenschaft betreiben soll. Nun ja, für manche Menschen ist die Wissenschaft als selbstzweck erstrebenswert, für andere, weil sie darin eine Stütze bei der Suche nach der Wahrheit sehen. Für weitere Menschen wieder, weil sie nützliche Früchte trägt. Die Beweggründe für die Wissenschaft können und sollen vielfältig sein. Die Wissenschaft ist nicht der einzige Weg, der gegangen werden muss, und sie wird nicht alles besorgen, was der Mensch braucht und wünscht. Zum Leben gehört viel mehr als nur Wissenschaft. Aber die Wissenschaft muss als solche richtig betrieben werden, weil sie sonst bruchstückhaft bleibt und sich nicht voll entfalten kann. Der Weg, der darin besteht, Wissen zu sammeln, strukturieren und prüfen, muss konsequent gegangen werden, damit die Wissenschaft all das hervorbringt, was sie hervorbringen kann.