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Manuskript

Wissenschaft

Die Parzellierung des Wissens

Die Parzellierung des Wissens, unter der man heute leidet, ist keine unerlässliche Folge der Spezialisierung in den Wissenschaften, wie man häufig annimmt. Sie hat eine Lösung. Nicht etwa wie die Interdisziplinarität, die immer Stückwerk bleiben muss, sondern eine logisch vollkommene Lösung. Diese lautet: das materielle, formale und einheitliche wissenschaftliche Korpus.

Das jetzige wissenschaftliche Korpus, das kaum verstofflicht, nur ansatzweise formal und überhaupt nicht einheitlich ist, verbindet unzertrennlich bestimmte Wissenschaftszweige, ja einzelne Wissenschaftler-Teams mit bestimmten Theorien und Erkenntnissen. Es gibt Erkenntnisse, die nur ganz wenigen Wissenschaftlern, die sich damit Jahrzehntelang eingehend — und ausschließlich — befasst haben, zugänglich sind.

Wenn man über ein vollständig materialisiertes wissenschaftliches Korpus verfügen wird, werden jedem alle Erkenntnisse zur Verfügung stehen. Wenn das Wissen in einheitlicher formaler Sprache spezifiziert wird, kann man jede Theorie überall einsetzen, ohne die hochspezialisierte Auslegung, die sie hervorgebracht hat, nachvollziehen zu müssen. Wenn alles Wissen in einem konsistenten System integriert wird, bleibt nicht jede Theorie wie heute oft auf ihren Entstehungszusammenhang beschränkt, sondern findet sie in jedem anderen erdenklichen Zusammenhang Anwendung, und somit auch Widerspruch oder Bestätigung.

Wenn man den wissenschaftlichen Betrieb als die Arbeit von verschiedenen unabhängigen Disziplinen an einem einzigen Korpus auffasst, so wird jede Stelle des Korpus von vielen verschiedenen Teams mit vielen verschiedenen Absichten und Hintergründen ausgewertet, beurteilt und verbessert.

Mit einer solchen Arbeitsweise lösen sich die Grenzbereiche, die jede Disziplin grundsätzlich haben muss, völlig auf. Es gibt keine Grenzen mehr innerhalb des Wissens, wenn die Gegenden, wo für eine Disziplin eine Grenze verläuft, wiederum im Zentrum anderer Disziplinen liegen.

In einer Korpus-orientierten Wissenschaft gibt es also überhaupt keine Parzellierung des Wissens, weil das Korpus immer das eine bleibt, trotz immer wachsender Anzahl von Zwecken und Gesichtspunkten, unter denen jeder einzelne Satz untersucht wird.