Vernunft
Das Wort Vernunft bezeichnet auch Erfahrungen, die man mit dem Text macht. Vernunft ist die Fähigkeit, Handlungen und Gedanken durch Texte zu steuern, das heißt textkonform zu denken und handeln. Die Tatsache, dass der steuernde Text in der Regel gar nicht ausgedrückt wird und deshalb selbst in der Zwischenwelt zwischen Traum und Realität bleibt, hat historisch zu der Vernebelung des Begriffs geführt, dem man sich bisher nur mit falschen metaphysisch betonten Voraussetzungen genähert hat. Man braucht nur, bei jedem Auftreten einer als vernünftig gekennzeichneten Handlung den leitenden Text auszuformulieren, um zu sehen, dass das jeweils Vernünftige objektiv definiert werden kann. Eine vernünftige Diskussion erkennt man an bestimmten Formalitäten, die den Sprachgebrauch betreffen: Man setzt — mit dem Zweck, Missverständnisse vorzubeugen — die Worte möglichst eindeutig ein, bemüht sich um Begriffsklärung und formuliert die Sätze aus. Je vernünftiger man sein soll, desto formaler wird der Sprachgebrauch, das heißt desto objektiver wird der unterliegende Text verstofflicht. Eine vernünftige Handlung zeichnet sich durch den Einsatz von Regeln aus, man kann sie als Verwirklichung eines Satzes beschreiben.
Das Kind, das anfängt, den Vernunftgründen zugänglich zu sein, ist in der Lage, symbolische Zusammenhänge zu erfassen und sie im Tun und Sagen sachgemäß anzuwenden. Der an einem Streit beteiligte Mensch, der sich durch Vernunftgründe von etwas, das zunächst gegen seinen Willen ist, überzeugen lässt, tut nichts anderes, als den Wert des durchgängig textkonformen Handelns und der dadurch erreichten Wohlordnung an sich als höher einzuschätzen, als den eigenen Vorteil in einem Einzelfall.