Wissenschaftliche Monokultur
Die Einheit der Wissenschaft ist nicht gleichzusetzen mit einer wissenschaftlichen Monokultur.
Die gegenwärtige Wissenschaft leidet bereits unter kultureller Armut innerhalb bestimmter Fachbereiche: Einige Disziplinen gehen mit einem Menschenschlag einher. Alle, die sie betreiben, teilen Vorurteile und Anschauungen, manchmal gar politische Ausrichtung. Die Phantasie ist innerhalb manchen Disziplinen so uniform, dass man sie von den Fachkenntnissen nicht mehr trennen kann. Angesichts der aktuellen Lage können Bemühungen für die Einheit zwischen Geistes- und Naturwissenschaften wie eine Bedrohung wirken. Sollen wir denn nicht nur Inselkulturen rund um Einzeldisziplinen, sondern sogar eine einzige Ideologie für die ganze Wissenschaft haben? Sollen jetzt die Archäologin, der Astronom und die Literaturwissenschaftlerin denn mit denselben Kategorien ihre Arbeit verrichten? Sollen jetzt die Handlungen Cäsars mit denselben Augen wie die Kernfusion angeschaut werden? Auf gar keinen Fall! Dass einige Disziplinen ideologisch befangen sind, ist schon schlimm. Wäre die ganze Wissenschaft zu einer einzigen Monokultur geworden, so wäre dies die reinste Katastrophe.
Die Monokultur ist keine notwendige Folge der Wissenschaft, sondern entsteht aus einem Missverständnis — aus der Fehleinschätzung nämlich, die Wissenschaft könne die persönlichen Einsichten bestätigen. Das kann sie aber nicht. Das, was wir miteinander sichern können, ist nie eine Vorstellung, sondern allein Sätze; keine Anschauungen, sondern Formulierungen. Wenn man von den hiesigen Begriffen von Text und Idee ausgeht, ist es ersichtlich, dass nur Texte das Geschäft der Wissenschaft sind und dass die Ideen völlig außen vor zu lassen sind. Die Wissenschaft ist keine „Suche nach der Wahrheit”. Die Wissenschaft kann von Menschen benutzt werden, die nach der Wahrheit suchen, und kann da eine unersetzliche Quelle von Informationen und eine unbestechliche kritische Instanz sein. Viele Menschen können aber aus vielen Perspektiven, mit verschiedenen kulturellen Hintergründen, verschiedenen Zwecken und verschiedenen Träumen nach der Wahrheit suchen. Das ist Kultur, und diese ist desto besser, je vielfältiger sie ist. Die rationale Kritik und die systematische Sammlung von gesicherten Erkenntnissen will von Natur aus universal sein. Das ist Wissenschaft, und diese ist umso besser, je einheitlicher sie ist.