Textantrieb

Manuskript

Text

Der fundamentale Textbegriff

Was ist das, der Text? Das Wort Text ist seit Jahrtausenden in Umlauf, darunter verbergen sich eine Vielzahl von Begriffen mit unterschiedlichen Graden von Mehrdeutigkeit und Allgemeinheit. Seit jeher ist von dem Text eines Liedes oder eines Theaterstückes die Rede als dessen rein sprachlichen Teilaspekt. Man spricht vom Text auch als dem Gegenstand der Philologie: einem überlieferten Schriftstück. Die Linguistik verallgemeinert diesen Begriff und fasst den Text überhaupt als sprachliche Produktion auf. Die Informatik stellt Textverarbeitungsprogramme als digitale Schreibmaschinen zur Verfügung und definiert den Hypertext als ein mit gewissen Navigationsfunktionen versehenes digitales Schriftgebilde. In Recht, Religion und Geisteswissenschaften stellt man den Gegensatz zwischen dem Text und dessen Geist fest.

Da drängt sich die Frage auf, was eigentlich ein Text ist. Lässt sich der Text auf fundamentalwissenschaftlicher Weise definieren? Gibt es etwas mit gewissen, genau spezifizierten Merkmalen, das wir den Text überhaupt nennen können? Ist der Text real? Mit anderen Worten: Gibt es in der Welt Texte, so wie es auch Bäume und Schildkröten gibt? Oder ist das Wort Text ein zwar teilweise nützlicher aber nicht objektiv, einheitlich und eindeutig bestimmbarer Sammelbegriff? Ich stelle hier die These auf: Ja, die Texte gibt es, und zwar nicht in uns, sondern außer uns. Der Text ist real. Nicht nur das: Der Text ist sogar Grundlage aller Wirklichkeit.

Ich möchte einen Textbegriff einführen, der die bisherigen Begriffe verallgemeinert und präzisiert. Ich definiere den Text in einem mündlichen Ausdruck als die logische Struktur, die jeder, der die entsprechende Sprachkompetenz mitbringt, erfasst, wenn er den Ausdruck hört. Seit der Antike kennt man die sogenannte syntaktische Analyse: sie besteht darin, den logischen Bau der Sätze herauszufinden. Das ist also der Text in einem sprachlichen Ausdruck, wohlgemerkt nicht nur für mündliche, sondern auch für schriftliche Ausdrücke, also unabhängig davon, wie der Ausdruck verstofflicht wurde — unabhängig davon, auf welcher materiellen Unterlage er gedruckt oder durch welche Medien er übertragen wird. Aber die Textbasiertheit der Sprache beschränkt sich nicht auf die syntaktische Struktur, sondern auch die Semantik lässt sich in Form eines Textes analysieren, wie die Algebra seit langem und die symbolische Logik seit dem neunzehnten Jahrhundert gezeigt haben. Auch in der Computertechnik werden sprachliche Produktionen in Text umgewandelt. So werden in einer Datenbank Eintitäten und Beziehungen erfasst, die sich semantisch abfragen lassen. Ich schlage eine Textstruktur vor, die auf einer einzigen, schlichten algebraischen Formel basiert, und die all dieses ausdrücken kann: sowohl die syntaktische als auch die semantische Analyse der Sprache, die logischen und mathematischen Ausdrücke und die Software. Dieser Textbegriff stellt die gemeinsame Grundlage all dieser verschiedenen Phänomene heraus und wird, wenn eingesetzt, ganz neue Möglichkeiten eröffnen.