Textantrieb

Manuskript

Text-Phänomenologie

Text in: Schriften

Nichtsprachliche Schriften

Kennzeichen

Die einfachsten Schriftzeichen sind Kennzeichen einer Entität, sei es eine Authoritätsperson oder eine Gruppe (Organisation, Sippe), in der Form von Wappen, Flaggen, Siegel und dergleichen.

Quelle siegel1, Schema kennzeichen

~ Siegel = Siegel von Karl dem Großen;

Quelle wappen1, Schema kennzeichen

~ Wappen = Stadtwappen von Büdingen;

Diese Schriftzeichen sind von der Frühzeit bis in die Gegenwart anzutreffen, einige alte sind noch im Umlauf, wie im Fall von Wappen und Flaggen, und viele neue entstehen immer noch. Irgendwann fing man an, Kennzeichen nicht nur für reale Entitäten, sondern auch für Begriffe einzusetzen.

Quelle verkehrszeichen1, Schema kennzeichen

~ Verkehrszeichen = Parkverbotszeichen;

Quelle flughafen1, Schema kennzeichen

~ Flughafen-Orientierungszeichen = Treffpunktzeichen;

Die obigen gegenwärtigen Beispiele von Kennzeichen haben dieselbe symbolische Struktur wie die alten. Kennzeichen bilden die einfachste Form von Texten überhaupt, deren explizite Darstellung jeweils aus einem einzigen Symbol besteht.

Das Symbol repräsentiert hier eine Entität oder einen Begriff. Das Vorhandensein des Kennzeichens deutet darauf hin. Die formale Bedeutung solcher Texte, wie von den obigen symbolsprachlichen Ausdrücken wiedergegeben, besteht einzig und allein in einem Verweis auf ein bestimmtes Symbol.

Der Sinn dieser Texte ergibt sich durch Pragmatik aus dem Objekt, woran das Zeichen abgebildet ist. Trug ein Ritter einen Wappen, so deutete dies auf seinen Dienstherrn hin. War eine Urkunde mit einem Siegel versehen, so garantierte dies ihre Herkunft. Steht an einer bestimmtem Stelle im Flughafen das Treffpunktzeichen, so meint das, diese Stelle sei der Treffpunkt.

Zahlen

Die einfachste Form des Zählens besteht darin, das mehrmalige Vorkommen von etwas zu beschreiben. Zu den ältesten überlieferten Schriftzeugnissen von Zählungen sind Tokens, in denen Güter inventarisiert wurden. Beispielsweise hat man mit einem Zeichen ein Schaf dargestellt und das Zeichen dreimal nebeneinander gezeichnet, was sich folgendermaßen in der Symbolsprache darstellen lässt:

Quelle schaf1, Schema schaf

~Schafe {
    ~Schaf;
    ~Schaf;
    ~Schaf;
};

Das heißt, es gibt einige (oben: drei) Erscheinungen, die zwar voneinander unterschieden, aber jeweils auch als eine Instanz eins und desselben Symbols (oben: Schaf) angesehen werden.

Die nächste Stufe in der Zahlenentwicklung besteht darin, die Erscheinungen nicht einzeln, sondern gruppiert aufzuzählen. Überliefert wurden auch Darstellungen in Tokens mit dieser symbolischen Struktur:

Quelle schaf2, Schema schaf

~= fünf Schafe : Schafe;
=sechs Schafe ~Schafe {
    ~Schafe # fünf Schafe;
    ~Schaf;
};

Ein zusätzliches Zeichen stellt hier nicht eine einzige Erscheinung, sondern etwa fünf, zwölf, fünfzig Vorkommen einer Erscheinung dar. Ein Ausdruck enthält sowohl diese Gruppen-Zeichen als auch die Einzel-Zeichen.

Etwas später datierte Tokens abstrahieren den Begriff der Zahl von der konkreten Erscheinung, um die es geht.

Quelle zahl1, Schema zahl

~=Schaf;
~=Schafe : Anzahl {
    ~Einheit #Schaf;
    ~Menge {
        ~Eins;
        ~Zahl #Fünf;
    };
};

Hier werden die Schriftzeichen in zwei Kategorien aufgeteilt. Ein einziges Schriftzeichen weist auf die Erscheinung hin, um die es geht (oben: Schaf). Andere Schriftzeichen stellen die Zahl dar. Somit lassen sich die spezialisierten Symbole für Zahlen auf allerlei gezählten Gegenstände anwenden.

Anfangs waren die symbolischen Darstellungen von Anzahlen so wie in den bisherigen Beispielen so, dass jede Angabe gleichwertig zum Ganzen beiträgt, wobei deren Position unerheblich ist. Gibt es zwei Angaben ~Eins, so ist die Menge zwei. Später fing man an, den Angaben abhängig von der Position unterschiedlichem Wert zuzuschreiben. So etwa im Lateinischen.

Quelle roemische-zahl1, Schema roemische-zahl

=vier ~Römische Zahl {
    ~Ziffer #I;
    ~Ziffer #V;
};
=sechs ~Römische Zahl {
    ~Ziffer #V;
    ~Ziffer #I;
};

Hier steht IV für vier und VI für sechs, denn die Ziffer I (eins) wirkt als Substraktion, wenn sie vor der Ziffer V (fünf), und als Addition, wenn sie danach erscheint.

Im Laufe der Zeit und über vielen Kulturen (Babylon, Indien) entwickelte sich das Stellenwertsystem, das sich inzwischen weltweit durchgesetzt hat. Es gibt zehn Ziffer, und jede Stelle trägt zum Ganzen durch Addition mit dem Wert einer zehner Potenz bei.

Quelle dezimale-zahl1, Schema dezimale-zahl

=einhundertundvier  ~Dezimale Zahl {
    ~Ziffer #1;
    ~Ziffer #0;
    ~Ziffer #4;
};

Das gegenwärtige Zahlensystem ist ein sehr ausgereiftes Zahlensystem. Es hat eine besondere Ziffer, die Null, die als einzige keine Zahl im ursprünglichen Sinne (als Station in der Reihe des Aufzählens) darstellt und eine rein System-interne Funktion hat. Es lässt sich leicht verallgemeinern, indem man nicht 10 Ziffern und zehner Potenzen, sondern N Ziffern und N-er Potenzen einsetzt.

Dieses Zahlensystem ermöglicht nicht nur die Darstellung von allerlei ganzen Zahlen, sondern hat die Eigenschaft, dass es auch arithmetische Operationen unterstützt. Man kann Addition, Substraktion und mehr leicht durch Manipulation des symbolischen Ausdrucks vollziehen. Das hat nicht nur seit Jahrhunderten den menschlichen Rechner beflügelt, sondern später auch mechanische und letztens digitale Rechner ermöglicht.

Historisch betrachtet ist das sehr bemerkenswert. Die Menschen haben das Zählen erfunden, sie haben es symbolisch, d.h. als Text verschriftlicht, sie haben diese symbolische Erfassung weiterentwickelt und verfügen zum Schluß über eine textbasierte Technik, die ihnen nicht nur das Abbilden, sondern auch das Handhaben von Zählungen ermöglicht, und zwar sogar durch Maschinen, d.h. ohne Teilnahme durch den menschlichen Geist.